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BEM und krankheitsbedingte Kündigung: Das müssen Sie beachten

von Katja Uhde – 19. August 2022

Mitarbeitende können nur dann krankheitsbedingt gekündigt werden, wenn es kein milderes Mittel zur Behebung der Beeinträchtigung gibt. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement hat die Aufgabe, diese Mittel zu identifizieren. In diesem Artikel erfahren Sie, was Sie beachten müssen, bevor Sie eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen können.

Der Kündigungsschutz hat im deutschen Arbeitsrecht einen sehr hohen Stellenwert. Vor allem kranke Mitarbeitende werden lange geschützt. Doch Unternehmen können es sich nicht dauerhaft leisten, auf die geschuldete Arbeitsleistung zu verzichten. Selbst dann nicht, wenn die Lohnfortzahlung nach sechs Wochen durch das Krankengeld abgelöst wird.

Muss vor der krankheitsbedingten Kündigung ein BEM-Verfahren durchgeführt werden?

Um Arbeitnehmende vor einer krankheitsbedingten Kündigung zu schützen, wurde das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) eingeführt. Doch obwohl dieses eine gesetzliche Pflicht ist, ist das BEM keine Voraussetzung, um eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen zu können.

Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die besagt, dass vor der Kündigung wegen Krankheit das Betriebliche Eingliederungsmanagement durchzuführen ist. So wie es zum Beispiel in manchen Fällen notwendig ist, Arbeitnehmenden vor einer Kündigung abzumahnen. Allerdings bewahrt Sie das BEM vor allerlei Komplikationen, die vor allem dann auf Sie zukommen, wenn der gekündigte Mitarbeitende innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung die sogenannte Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreicht.

Krankheitsbedingte Kündigung ist Ultima Ratio

Da die krankheitsbedingte Kündigung stets die Ultima Ratio, also das letzte geeignete Mittel ist, müssen vor einer wirksamen Krankheitskündigung alle anderen Optionen ausgereizt worden sein. Genau dafür wurde das BEM ins Leben gerufen. Deshalb werden die Arbeitsrichter:innen Sie stets fragen, ob und wie das BEM durchgeführt wurde. Müssen Sie die Frage verneinen, sind Sie in der Regel in der Beweispflicht. Sie müssen also darlegen, warum das BEM aus Ihrer Sicht aussichtslos ist und die Kündigung deshalb auch ohne BEM-Verfahren gerechtfertigt ist.

BEM entscheidet über Beweispflicht im Kündigungsschutzverfahren

Arbeitgebender hat BEM-Verfahren angeboten, Arbeitnehmender hat zugestimmt:

Dem Arbeitsgericht kann ein ordentliches BEM-Verfahren vorgelegt werden (Achtung: Ordentlich heißt nicht, dass es durchgeführt oder erfolgreich gewesen sein muss. Wenn der Arbeitnehmende das Verfahren ablehnt, haben Sie Ihre Pflicht ordnungsgemäß erfüllt.). Beide Seiten müssen darlegen, warum dies aus ihrer Sicht offensichtlich nicht den gewünschten Erfolg (Erhalt des Arbeitsplatzes) gebracht hat.

Arbeitgebender hat BEM-Verfahren angeboten, Arbeitnehmender hat die Teilnahme verweigert:

Der Arbeitnehmende muss beweisen, warum die Kündigung trotz angebotenem und abgelehntem BEM nicht die Ultima Ratio ist.

Arbeitgebender hat BEM-Verfahren nicht angeboten:

Der Arbeitgebende muss darlegen, warum das BEM keinerlei Einfluss auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmenden gehabt hätte und nicht dazu beigetragen hätte, zukünftige Krankheitsfälle zu vermeiden.

BEM stärkt Position des Arbeitgebenden im Kündigungsschutzprozess

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement hat somit einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf und Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses. Seine saubere Durchführung stärkt in jedem Fall Ihre Position als Arbeitgebender. Auch wenn es theoretisch möglich ist, ist es in der Praxis nur sehr schwer zu beweisen, dass ein durchgeführtes BEM keinerlei Einfluss auf die zukünftige Einsatzfähigkeit des/der Beschäftigten gehabt hätte. Immerhin sind Sie verpflichtet, zuvor sämtliche Möglichkeiten und Alternativen zu prüfen und auszuschöpfen:

  • Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, damit der Arbeitnehmende weiter an seinem bisherigen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann
  • Leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes, zum Beispiel durch technische Hilfsmittel
  • Versetzung des Mitarbeitenden auf einen anderen Arbeitsplatz mit leidensgerechten Arbeitsbedingungen und Aufgabenfeldern
  • Ausschöpfung sämtlicher gesetzlicher Hilfen zur Wiedereingliederung
  • Inanspruchnahme der Leistungen der Rehabilitationsträger gemäß SGB IX (Bundesagentur für Arbeit, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, etc.)

Auch Rechtsanwälte wissen um die hohen prozessualen Hürden, die ein fehlendes BEM aufstellt. Sie empfehlen seine Durchführung deshalb selbst dann, wenn dessen Aussichtslosigkeit verhältnismäßig wahrscheinlich erscheint. Ein Fall offensichtlicher Aussichtslosigkeit kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmende so schwer erkrankt ist, dass die Prognose des Krankheitsverlaufs offenbart, dass er keinerlei Arbeit mehr nachgehen kann.

Dies mit Gewissheit beurteilen zu können, wird allerdings schon dadurch erschwert, dass der Arbeitnehmende keinerlei Auskunftspflicht gegenüber seinem Arbeitgebenden hat, was die Art und den Verlauf der Erkrankung betrifft. Selbst dann nicht, wenn er dem BEM-Verfahren zugestimmt hat. Auch der Betriebsarzt muss erst von seiner Schweigepflicht entbunden werden, um etwas zum Zustand seines Patienten sagen zu dürfen.

Wird dem Arbeitnehmenden zuvor kein BEM angeboten, wird eine krankheitsbedingte Kündigung in der Regel zurückgewiesen. Ausnahmen bestehen nur innerhalb der ersten sechs Monate nach der Einstellung.

Die besten Chancen, dass eine entsprechende Kündigung ohne vorausgehendes BEM für rechtmäßig erklärt wird, haben Kleinstbetriebe, die so klein sind, dass sie beispielsweise keine Alternativarbeitsplätze bieten können. Aber auch hier sind die Hürden groß.

Nicht nur ob, sondern auch wie BEM durchgeführt wurde, entscheidet über Rechtmäßigkeit der Kündigung

Obwohl der Gesetzgeber keine Vorgaben zur konkreten Gestaltung des BEM macht, müssen Arbeitgebende viele Regeln beachten. Das beginnt bereits mit der Einladung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement. Wenn Sie bereits hier Formfehler begehen, müssen Sie sich ein fehlerhaftes BEM vorwerfen lassen. Ein fehlerhaftes BEM wird in der Regel als kein BEM gewertet und wirkt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Wirksamkeit der krankheitsbedingten Kündigung aus.

Vor allem aber müssen Sie ergebnisoffen in das BEM-Verfahren gehen. Sie müssen glaubhaft darlegen können, dass Sie alles unternommen haben, um die Wiedereingliederung des/der Beschäftigten zu ermöglichen. Machen Sie selbst Vorschläge für Maßnahmen und gehen Sie ernsthaft auf die Vorschläge Ihres Mitarbeitenden ein. Dokumentieren Sie Ihre Bemühungen und die Ergebnisse, um im Falle einer Kündigungsschutzklage stichhaltiges Beweismaterial zu besitzen. Dabei helfen digitale BEM-Lösungen wie die von Saneware.

Betrachten Sie das Betriebliche Eingliederungsmanagement schon im eigenen Interesse nicht als lästige Pflicht, die mit einem halbherzigen Angebot erledigt ist. Unabhängig davon, dass das BEM auch eine Chance darstellt, einen ursprünglich produktiven Mitarbeitenden zurückzugewinnen, rächt sich ein solches Verhalten spätestens bei einer juristischen Auseinandersetzung. Gehen Sie immer davon aus, dass zuständige Arbeitsrichter:innen auf Seiten des Arbeitnehmenden stehen. Dieser Grundgedanke trägt zur notwendigen Sorgfalt bei der Durchführung bei. Haben Sie Ihre Pflichten gewissenhaft erfüllt, können Sie einem Kündigungsschutzverfahren entspannt entgegenblicken.

Ein BEM kann nicht ausreichend sein

Das Bundesarbeitsgericht hat 2021 entschieden, dass BEM-Verfahren auch dann zu wiederholen sind, wenn ein Beschäftigter erneut mehr als sechs Wochen krankgeschrieben ist, aber das letzte BEM-Verfahren noch keine zwölf Monate zurückliegt. Somit kann es sein, dass Sie zwei oder sogar mehr Verfahren pro Jahr anbieten und durchführen müssen, unabhängig davon, wie aussichtsreich die einzelnen Verfahren scheinen. Sonst schwächen Sie Ihre Position in einem Kündigungsschutzprozess.

Das Gericht begründet seine bürokratiefördernde Entscheidung damit, dass nicht auszuschließen sein, dass sich die Sachlage innerhalb von sechs Wochen verändert und ein erneutes BEM nicht doch erfolgsversprechend sei.

Fazit: Ohne BEM wird die Kündigung schwer

Es gibt kein Gesetz, dass ein BEM-Verfahren vorschreibt, um eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen zu können. Allerdings ist das BEM unabhängig von einer Kündigung Pflicht. Kommt es zu einer Kündigungsschutzklage durch den Arbeitnehmenden, müssen Sie beweisen, dass das Betriebliche Eingliederungsmanagement in diesem Fall aussichtslos gewesen wäre und die Kündigung entsprechend verhältnismäßig ist.

Das jedoch dürfte sich als ziemlich schwierig erweisen. Deshalb empfiehlt sich die grundsätzliche Durchführung, damit Sie im Fall einer Kündigung nachweisen können, Ihren Pflichten als Arbeitgebender nachgekommen zu sein. Das erhöht die Chancen, dass ein etwaiger Gerichtsprozess zu Ihren Gunsten ausgeht, enorm.

Merke: Das BEM ist keine formale Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung, wird aber zum Dreh- und Angelpunkt, wenn der/die Gekündigte juristisch gegen die Kündigung vorgeht.

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