Große Arbeitgeberstudie offenbart Stillstand beim BGM
„Whatsnext“ beschäftigt sich zum wiederholten Male intensiv mit der Betrieblichen Gesundheitsförderung in all seinen Facetten. Dafür wurden über tausend Arbeitgebende aus der privaten Wirtschaft und der öffentlichen Hand befragt. Lesen Sie hier die zentralen Ergebnisse der Studie.
Unter der Federführung des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) entstand die Studie „Whatsnext2020 – Erfolgsfaktoren für gesundes Arbeiten in der digitalen Arbeitswelt“. Dafür wurden vom 17. Februar bis zum 31. März 2020 insgesamt 1.192 Organisationen befragt. Nun liegen die Ergebnisse vor.
Inhaltsverzeichnis:
- Einführung von ganzheitlichem BGM macht kaum Fortschritte
- Erfolgreiches BGM bedarf einer Strategie
- Budgets für das Betriebliche Gesundheitsmanagement rückläufig
- Unternehmen mit strategischem BGM nutzen Förderoptionen besser aus
- Psychische Gesundheit immer wichtiger in Organisationen
- Digitalisierung der Gesundheitsförderung immer wichtiger
- Fachkräftemangel treibt Unternehmen um
- Konzentriertes Arbeiten sowie Erholung noch ausbaufähig
- Datenschutz beschäftigt alle Organisationen
Einführung von ganzheitlichem BGM macht kaum Fortschritte
Auffällig im Vergleich zur ersten Whatsnext-Studie aus dem Jahr 2017: Damals verfügten 26,3 Prozent der befragten Organisationen über ein ganzheitliches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Heute sind es mit 27,0 Prozent nur unwesentlich mehr. Dabei gaben 2017 immerhin 36,8 Prozent der Befragten an, die Einführung eines strukturierten BGM zu planen oder bereits begonnen zu haben. Corona hat dieses Vorhaben offensichtlich ordentlich ins Stocken gebracht. Aber sicherlich kann für den geringen Fortschritt nicht nur die Pandemie verantwortlich gemacht werden.
Laut der Studie gibt es in jeder achten Organisation (13,4 Prozent) noch gar keine Angebote zur Gesundheitsförderung von Beschäftigten. Drei von neun Organisationen (34,8 Prozent) bieten vereinzelte BGF-Maßnahmen an. 22 Prozent der befragten Organisationen geben an, dass bei ihnen das ganzheitliche BGM bereits Realität sei. Dabei haben die großen Unternehmen klar die Nase vorne, während kleinere vor allem einzelne BGM-Maßnahmen anbieten.
Erfolgreiches BGM bedarf einer Strategie
Zwar ist jede Aktion, die die Gesundheit der Mitarbeitenden fördert, begrüßenswert, allerdings können einzelne Aktionen ohne klare Strategie nur eingeschränkt wirken, so die Studienverantwortlichen. Es bedarf einer fundierten Bedarfsanalyse, einer zielgerichteten Maßnahmendurchführung und einer objektiven Erfolgsmessung der BGM-Maßnahmen. Ohne ein entsprechendes Konzept besteht die Gefahr, dass falsche Anreize gesetzt und falsche Schwerpunkte gelegt werden. Dadurch kann das wertvolle BGM-Budget ohne Return on Investment verpuffen.
Organisationen, die ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement an den Bedürfnissen der Zielgruppe – nämlich der Beschäftigten – ausrichten, evaluieren den Bedarf meist mithilfe von Mitarbeiterbefragungen. In 93,1 Prozent der Unternehmen wird die Befragung zur Bedarfsermittlung genutzt. Neuere Verfahren wie Puls-Befragungen oder Instant-Feedback spielen bislang nur eine untergeordnete Rolle, werden aber immer bekannter.
Budgets für das Betriebliche Gesundheitsmanagement rückläufig
Die finanziellen Mittel sind häufig auch der Grund, warum die Einführung eines ganzheitlichen BGM scheitert. In der Studie 2017 gaben knapp die Hälfte der befragten Unternehmen an, dass ihr Budget für den Aufbau des Betrieblichen Gesundheitsmanagements bei unter 50.000 Euro liegt. 83 Prozent der Befragten gingen davon aus, dass sich ihr Budget erhöhen wird oder zumindest stabil bleibt. Gleichzeitig prognostizierte fast die Hälfte der Befragten, dass sich ihr BGM-Budget in Krisenzeiten reduzieren würden.
Genauso ist es gekommen: 49,1 Prozent der befragten Organisationen haben weniger als 10.000 Euro oder gar kein Budget für das BGM zur Verfügung. Lediglich 11,7 Prozent der Organisationen können für die Gesundheitsförderung auf ein Budget von mehr als 50.000 Euro zugreifen.
Unternehmen mit strategischem BGM nutzen Förderoptionen besser aus
Dabei müssen Unternehmen nicht zwangsläufig alles aus der eigenen Kasse bezahlen. So zeigt die Studie zwar, dass die Betriebe mit einem strategischen BGM die größten finanziellen Mittel dafür bereitstellen, aber gleichzeitig auch am meisten von der Förderung Dritter profitieren. Sie nehmen verschiedene Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung und anderer Sozialversicherungsträger in Anspruch. Je systematischer sich Unternehmen mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement auseinandersetzen, desto mehr Optionen zur Unterstützung lernen sie kennen und nehmen sie wahr.
Laut Dr. Jens Baas, dem Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, die ebenfalls an der Studie beteiligt ist, sind die Ergebnisse auch für die Krankenkassen wichtig. Er sagt: „Aus der Studie ziehen wir wichtige Erkenntnisse, wo und wie wir Arbeitgeber beim BGM noch besser unterstützen können.“
Psychische Gesundheit immer wichtiger in Organisationen
Befragt zu den wichtigsten Herausforderungen der Zukunft, stufen viele Unternehmen die psychische Gesundheit ihrer Beschäftigten als sehr hoch ein. Burnout, Überforderung und Depressionen stellen eine ernsthafte Gefahr dar. Dabei haben viele Unternehmen noch Nachholbedarf bei der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).
Nur gut die Hälfte der Unternehmen (51,5 Prozent) führt die Beurteilung bereits durch. Vermutlich sind es deshalb so wenige, weil ihnen der Nutzen der Gefährdungsbeurteilung noch nicht ausreichend klar ist und deshalb keine Ressourcen für ihre Durchführung geschaffen wurden.
Ein weiteres bedeutsames Feld sind die Auswirkungen der Digitalisierung und von New Work auf die Gesundheit der Mitarbeitenden. 45,6 Prozent der Organisationen – vor allem öffentliche Einrichtungen – nehmen Sorgen oder Ängste im Zuge der Digitalisierung wahr. Die neue, von Digitalisierung und Globalisierung geprägte Arbeitswelt bringt neue Belastungen mit sich. Vor allem Organisationen mit ganzheitlichem BGM (64,7 Prozent) und Einrichtungen der öffentlichen Hand (49,0 Prozent) bieten ihren Beschäftigten Workshops zu Themen wie Achtsamkeit und Resilienz. Insgesamt verzeichnet das Thema New Work den zweithöchsten Bedeutungszuwachs in den befragten Unternehmen.
Digitalisierung der Gesundheitsförderung immer wichtiger
Zu New Work gehören auch Aspekte wie Homeoffice und mobiles Arbeiten, die wiederum eine Digitalisierung der Betrieblichen Gesundheitsförderung an sich erfordern. Im Vergleich zu allen anderen BGF/BGM-Themen erfährt die digitale BGF den höchsten Bedeutungszuwachs in den kommenden drei Jahren. Allerdings bieten derzeit nur 37,2 Prozent der Unternehmen digitale Angebote an.
Aus Organisationen, die bisher keine digitalen BGF-Angebote besitzen, hört man, dass diese sich vor allem mehr Wissen zur Umsetzung wünschen. Bei den Arbeitgebenden, die bereits weiter sind, stehen vor alle Gesundheitsportale und Online-Coachings hoch im Kurs. Immerhin 13,5 Prozent der Organisationen bieten bereits digitale Angebote, wobei auch hier eine Korrelation zum BGM-Budget erkennbar ist. 14 Prozent geben an, entsprechende Digitalangebote zu planen.
Fachkräftemangel treibt Unternehmen um
Auch die Sorge rund um den Fachkräftemangel wird in der Whatsnext-Studie deutlich. Acht von zehn Organisationen geben an, dass der Fachkräftemangel für sie in den nächsten fünf Jahren relevant sein wird. Um dem Problem zu begegnen, setzen die Unternehmen vor allem auf flexible Arbeitszeiten und Teilzeitangebote. Aber auch direkte BGM-Maßnahmen spielen vermehrt eine Rolle, um qualifiziertes Personal anzulocken und zu halten.
Siebe von zehn Organisationen geben an, bereits Maßnahmen anzubieten, die die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu Ziel haben. Auch hier haben große Unternehmen sowie öffentliche Einrichtungen die Nase vorn. Während die Flexibilisierung der Arbeitszeit bereits deutliche Fortschritte gemacht hat, gibt es bei der Vertrauensarbeitszeit noch Spielraum.
Konzentriertes Arbeiten sowie Erholung noch ausbaufähig
Noch Nachholbedarf gibt es bei der Förderung von konzentriertem Arbeiten. Nur ein Viertel der Organisationen bietet darauf abgestimmte Angebote, wie zum Beispiel separierte Arbeitsbereiche und Lärmschutzmaßnahmen. In öffentlichen Einrichtungen sind es sogar nur 16,5 Prozent.
Auch der Aspekt Schlaf und Erholung wird noch immer zu sehr im Privatbereich der Beschäftigten verortet. Dennoch tut sich hier etwas: Im Vergleich zu 2017 haben nun mit 22,3 Prozent der Organisationen deutlich mehr Arbeitgebende Maßnahmen ergriffen. Dabei handelt es sich in der Regel um Wissensvermittlung in Form von Vorträgen. 61,3 Prozent derjenigen, die das Thema noch nicht umsetzen, schätzen den Bedarf als nicht hoch genug ein.
Datenschutz beschäftigt alle Organisationen
Der Datenschutz hingegen zieht viel Aufmerksamkeit der Verantwortlichen auf sich. 85,5 % der Organisationen geben an, dass der Datenschutz eine große oder eher große Bedeutung für sie hat. Dies spiegelt sich auch in der Umsetzung von Maßnahmen wider: Neun von zehn Organisationen sind hier aktiv.
Eine weitere Vertiefungsstudie von „Whatsnext“ ist bereits für 2025 geplant. Alle Ergebnisse der Studie des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG), der Techniker Krankenkasse (TK) und des Personalmagazins der Haufe-Gruppe können Sie hier nachlesen.